Geschichte

Archäologische Funde zeigen, dass die Insel Saaremaa schon seit
mindestens 5.000 Jahren (vermutl. sogar 8.000) bewohnt ist.
Dank seiner günstigen klimatischen Bedingungen und geographischer
Isolation war Saaremaa bis zur Besatzung Estlands durch deutsche
Kreuzritter zu Beginn des 13. Jahrhundert eines der am dichtesten
besiedelten Gebiete in Estland.
Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert war Saaremaa in skandina-
vischen Sagen als "Eysysla" erwähnt worden, gemäß alter deutscher
und russischer Quellen wurde es "Oesel" genannt.
Aufgrund seiner geographischen Lage zwischen Ost und West war
sowohl das Territorium Saaremaas als auch das vom gesamten Est-
land für sieben Jahrhunderte unter der Herrschaft verschiedener
Länder: Im Januar 1227 brachten die Teutonischen Ritter eine
Armee mit 20.000 Leuten über das gefrorene Meer und etablierten
die deutsche Herrschaft, welche - trotz häufiger Rebellionen - bis
1559 andauern sollte.
In den nächsten 90 Jahren gab es fünf verschiedene Eroberer, als
erstes die Dänen, dann die Schweden gefolgt von dänischen Invasoren,
dann die Russen, letztendlich wieder die Schweden im Jahr 1645.
Die Schweden verloren ihren baltischen Besitz im Jahr 1710 an die
Russen.
Das Zarenreich fand 1917 ein Ende, aber Saaremaa wurde unverzüglich
von deutschen Truppen wiederbesetzt, welche im November 1918
wieder verschwanden. Danach wurde Estland das erste Mal bis 1940
zur Republik.
Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, die Deportationen nach
Deutschland und Russland und der "Boat Exodus", also die Flucht auf
Booten nach Schweden führten zu einem Bevölkerungsschwund von
mehr als 30 % von 56.000 im Jahr 1939 auf 38.000 im Jahr 1945;
etwa auf diesem Level stagniert diese Zahl bis heute.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es auf Saaremaa etwa 60.000
Einwohner, davon lebten rund 4.000 in Kuressaare. Es handelte
sich um eine typisch landwirtschaftliche Region mit einer sehr hohen
Bevölkerungsdichte. Aus diesem Grund waren viele Inselbewohner
gezwungen, ihr Glück auf dem Festland oder in anderen Staaten zu
versuchen.
Ein Teil der Bevölkerung drückte jedoch seine Unzufriedenheit aus,
indem er in der Mitte des 19. Jahrhunderts vom Lutheranischen Glauben
zugunsten der Orthodoxy abfiel. Etliche Leute waren zu Beginn des 20.
Jhs. in der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse aktiv.
Reformen, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. abspielten, ließen
das Wirschaftsgeschehen auf Saaremaa aufleben und begünstigten den
Fortschritt des Privatunternehmertums.
Wichtige Meilensteine in der Entwicklung der Region waren die Öffnungen
der Schiffahrtslinien nach Riga und St.-Petersburg im Jahr 1858 sowie
der Beginn des regulären Fährverkehrs zwischen dem Festland und der
Insel Muhu im Jahr 1888, Bau des Roomassaare Hafens 1894, Fertig-
stellung des Dammes zwischen Saaremaa und Muhu 1896, Organisation
der telegrafischen Kommunikation zwischen Kuressaare und Pärnu 1875
und die Inbetriebnahme des ersten Elekrizitätswerkes im Jahr 1912.
Die genossenschaftliche Bewegung der Insulaner begann sich zu entwik-
keln: Der erste Farmerverband wurde 1899 gegründet, die Molkerei-
genossenschaft von Valjala 1912, die Verbrauchergenossenschaft von
Tornimäe 1905, die Spar- und Darlehensgenossenschaft von Kuressaare
1911. Es wurden Fortschritte in Bildung und Kultur erzielt. Viele ehema-
lige Herrenhäuser wurden in Schulen umgewandelt und eine zweistellige
Zahl moderner Schulgebäude wurde gebaut. In den 1930er Jahren gab es
80 staatliche Grundschulen und ein Gymnasium auf Saaremaa.
Die Handelserfordernisse für die Entwicklung der Wirtschaft in den ein-
zelnen Landesteilen wurde in der Kuressaare Nautical School (1891 ge-
gründet) gelehrt, ferner in der Gewerbeschule (1922), Kõljala Agrarschule
(1919) und in der Karja Hauswirtschaftsschule (1929).

Die kurze Periode der Estnischen Republik war eine Zeit der Selbst-
erkennung und Bildung von Gemeinschaften. Als Folge der Agrarreform
der 1920er wurde das Land der Grundstückseigentümer zwischen Bauern
aufgeteilt. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es schätzungsweise 10.000
Bauernhöfe auf Saaremaa (durchschnittlicher Landbesitz: 23 ha, anbau-
fähiges Land: 38.000 ha). Der Großteil des Einkommens war durch Milch-
wirtschaft gezeichnet. 1938 exportierten neun Genossenschaften Butter,
23 kleine Molkereien, sogenannte "Sahnestellen", waren in der Lage,
14.000 Tonnen Milch pro Jahr zu verarbeiten.
Auch Kleinindustrien und Kurorte entstanden. Fast 150 kleinere Betriebe
förderten oder verarbeiteten hiesige Rohmaterialien.
Gemäß einer sehr alten Tradition wurde die Ernährung der Inselbewohner
mit Fisch angereichert, obwohl nur 2 % von ihnen berufsmäßige Fischer
waren.
Die Ereignisse des Sommers 1940 unterbrachen alles bis dahin Erreichte.
Im Juni 1940 - als Konsequenz zum "Molotov-Ribbentrop-Pakt", am
23. August 1939 unterzeichnet - besetzte die sowjetische Armee Estland,
im August war das Land in der Sowjetunion eingegliedert. Am 14. Juni und
am 1. Juli 1941 wurden mehr als eintausend Menschen von Saaremaa nach
Sibirien deportiert. Mitte September landeten deutsche Truppen auf der
Insel Muhu. Anfang Oktober war Saaremaa für drei Jahre unter deutscher
Herrschaft besetzt. 1944, bevor die Sowjetarmee Saaremaa erreichte,
flohen viele Insulaner aus Estland und suchten in westlichen Ländern Zu-
flucht, hauptsächlich in Schweden. Zwei- bis dreitausend Bewohner der
Sõrve-Halbinsel wurden nach Deutschland deportiert; weniger als die Hälfte
von ihnen konnte Jahre später zurückkehren.

Während der Nachkriegszeit wurde das Schicksal Saaremaas fest von der
Tatsache beeinflusst, dass die Insel an der westlichen Grenze eines riesi-
gen, totalitären Staates - der UdSSR - lag. Saaremaa war eine eingeschrän-
kte Zone, daher waren Schifffahrt und die Bewegungsfreiheit auf der Insel
selbst für einen einfachen Esten - von Ausländern gar nicht erst zu spre-
chen - strikten Einschränkungen unterlegen.
[Anm. d. Autors dieses Weblogs: Festlandesten durften bis 1991 die Insel
Saaremaa nicht ohne besonderen Grund betreten. Wollten sie Verwandte
oder Freunde besuchen, mussten sie eine schriftliche Einladung von ihnen
vorweisen. Diese musste zuvor von Saaremaa per Post abgeschickt wer-
den; der Poststempel von Saaremaa bewies dann die Echtheit des Absen-
deortes. ]


Es gab über 30 Armeestützpunkte in der Gegend; sie nahmen mehr als
4.000 ha (auf der Halbinsel Sõrva ca. 1.600 ha) vom Land auf Saaremaa ein.
1947 wurde den Insulanern eine Gründung kollektivierter Bauernhöfe auf-
erzwungen; gefolgt von einer weiteren Deportation nach Sibirien im März
1949, und es setzte eine Massenbewegung aus der Provinz sowohl nach
Kuressaare als auch zum Festland ein.
Die Verfolgungen durch Stalin 1941 und nach dem Zweiten Weltkrieg
sowie durch Hitler 1941-1944 führten ebenso wie eine Massenauswande-
rung im Jahr 1944 zu einem Rückgang der Bevölkerung um beinahe ein
Drittel; sie reduzierte sich auf 40.000 zum Ende des Krieges.
Es gab einen extrem starken Rückgang in der Zahl der jungen Leute,
daher konnte der Bevölkerungsschwund erst in den frühen 1980er
Jahren gestoppt werden, wobei sich der Prozess auf den kleinen Inseln,
die zum Landkreis gehörten (Ruhnu, Abruka, Vilsandi), weiterhin
fortsetzte.
Das Bemerkenswerteste ist das Schicksal der Insel Ruhnu, dessen
Bevölkerung aus ethnischen Schweden bestand. Sie alle wanderten
während des letzten Krieges nach Schweden aus, so dass die Zusammen-
setzung der Bevölkerung nun völlig neu ist - bestehend aus Zugereisten
vom Festland und anderen Inseln.
Ergänzend zu den wesentlichen Verlusten in der Einwohnerzahl konnte
Saaremaa ebenso wie andere estnische Inseln nicht über seine eigene
Entwicklung bestimmen, da alles zentralisiert war und alle Entscheidun-
gen von Tallinn und Moskau getroffen wurden. Kleine Dörfer, Schulen,
Molkereien, Fischgenossenschaften wurden geschlossen bzw. abge-
schafft und große statt dieser errichtet.
Am 16. November 1988 wurde die "Vereinbarung der Souveränität der
Estnische Sowjetrepublik" verabschiedet, welche den Beginn friedlicher
Anstrengungen zum Wiedergewinn der Unabhängigkeit des Landes
markierte. Am 20. August 1991 erklärte der Oberste Rat der Estnischen
Republik den Staat als unabhängige Republik.
Zwei wichtige Ereignisse spielten sich im Juni 1992 in Estland ab:
- Die lokale Währung - "kroon" - wurde am 20. Juni eingeführt und
- ein Referendum stimmte der Neuen Verfassung am 28. Juni zu.
Am 20. September 1992 wurde das neue Parlament - "Riigikogu" -
gewählt.


Der Autor dieses Weblogs übersetzte diesen Text ins Deutsche aus nachstehender Quelle:
www.saaremaa.ee, history